Wer Klaus Nerlichs „Bildräume“ betritt, der betritt eine Welt, in der nichts ist, wie es immer zu sein vorgab, nicht einmal der unverrückbar geglaubte Eiffelturm oder Goethes unantastbar gewähntes Gartenhaus. Hier verkehren sich Perspektiven, rücken Raumeindrücke in eine Fläche zusammen, verschmelzen Bilder zu Gebilden, die alles sein wollen, nur eins nicht: Souvenir mit Wiedererkennungswert, Spiegel für Bekanntes und Vertrautes. Dabei sind die Ausgangspunkte der „Bildräume“ reale Örtlichkeiten - sakrale Räume, Museen, Akademien, Naturszenarien - begehbar, wie es sich für eine dreidimensionale Welt gehört und wie es die nur mehr zur Staffage geronnenen Museumsbesucher, Studenten oder Kirchgänger in den fotografierten Räumen selbst deutlich machen.  

Auf den ersten Blick aber nimmt der Betrachter von alldem nicht allzu viel wahr, sieht vor allem ästhetisch reizvolle Formfindungen jenseits konkreter Motivik. Um das Abgebildete also geht es nicht allein. Vielmehr tritt zurück, was gemeinhin im Vordergrund des fotografischen Bildes steht, fällt ins Auge, was den ursprünglichen Gegenstand verdeckt: Strukturen und Farbklänge, abstrakt anmutende Bildformationen, kaleidoskopartige Überlagerungen verschiedener Blickpunkte. Das alles kommt spielerisch daher, lotet mit anmutiger Leichtigkeit die Grenzen zwischen gegenständlicher und ungegenständlicher Kunst aus und verzichtet in letzter Instanz doch auf eine endgültige Zuweisung.

Um ein reines ästhetisches Spiel ist es dem Künstler jedoch nicht zu tun. Klaus Nerlichs „Bildräume“ hinterfragen die Selbstverständlichkeit des Blicks, der das Gesehene zu einem vermeintlich objektiv Gegebenen erklärt. Die Welt und ihr Abbild werden nicht mehr in eins gesetzt, sondern als getrennte Sphären bewusst gemacht. Das Ding an sich wird als Konstrukt entlarvt, dessen konstruktiver Charakter lediglich durch Höchstleistungen unseres Gehirns in Vergessenheit geraten ist. Wer sieht, der sieht immer schon ein Bild. Und wer einen künstlerischen Bildraum betritt, der sieht dieses Bild erneut gebrochen durch das Auge des Künstlers und durch das Medium, das er gewählt hat.

Die Arbeiten also betreiben Dekonstruktion und konstruieren zugleich eine artistische Formenvielfalt, die den überlagerten Raumeindrücken eine ganz neue Gestalt verleiht. Die Perfektion dieser Formen entrückt das eigentlich Abgebildete in eine reine Kunstwirklichkeit und entfaltet zudem eine übergeordnete Symbolwirkung. Die hier gezeigten Bilder thematisieren damit einmal mehr, um was es hier eigentlich geht: um das Sehen und die Frage, wie visuelle Wahrnehmung jenseits unserer naiven Alltagsvorstellung eigentlich von statten geht. Die wiederholten symmetrischen Überlagerungen von Einzelaufnahmen erinnern darüber hinaus an die optische Raffinesse eines Kaleidoskops und dessen Spiegelung immer gleicher Versatzstücke. Was im Bild gesetzt erscheint, könnte immer auch anders sein; eine kleine Verschiebung der Einzelbilder zueinander und der Gesamteindruck wäre ein anderer – das ist Magie moderner Bildbearbeitung. Willkommen in einer Welt unaufhörlicher Möglichkeiten, in der nichts ist, wie es sonst immer zu sein scheint! 


Dr. Susann Ortmann